Ausbeutemaximierung
(Bioprozess-Optimierung)

(Stand: Februar 2022)

Die vorgestellte Anwendung demonstriert den Nutzen modellbasierter Op­ti­mie­rungs­stra­te­gien für die Entwicklung und Op­ti­mie­rung von Bioprozessen am Beispiel eines UpStream-Prozesses zur Herstellung eines rekombinanten Bioproduktes. Im vorliegenden Fall erfolgt die Bildung des Bioproduktes mithilfe eines genetisch veränderten Or­ga­nis­mus.

Anwendungsbeispiel


Die Kultivierung des genetisch veränderten Organismus $\color{#4daf4a}{X}$ (vgl. E. coli) erfolgt in einem ideal durchmischten klassischen Rühr­kes­sel-Reak­tor. Die Bildung des rekombinanten Bioproduktes $\color{#377eb8}{P}$ wird durch die Zugabe eine Aktivators $a$ (vgl. IPTG) zum Zeit­punkt $t_{\text{a}}$ induziert [1]. Hierbei konkurrieren Bio­mas­se­wachs­tum und Pro­dukt­bil­dung je­weils um dasselbe Substrat $\color{#ff7f00}{S}$ (vgl. Glu­ko­se). Bei Ablauf der Pro­zess­lauf­zeit $t_{\text{harvest}}$ erfolgt die Ernte und Aufarbeitung des gebildeten Bioproduktes. Die zeitlichen Ver­läu­fe der betrachteten Zustandsgrößen des nicht-optimierten Bio­pro­zes­ses sind in nachfolgender Ab­bil­dung wiedergegeben:

non-optimised process

Aus der Abbildung ist zu entnehmen, dass hohe Substrat-Konzentrationen $\color{#ff7f00}{S}$ das Bio­mas­se­wachs­tum $\color{#984ea3}{\mu}$ hemmen. Nach Zugabe des Aktivators wird ein Groß­teil des Substrates durch Pro­dukt­bil­dung verbraucht. Hierbei wird ebenfalls eine deutliche Inhibition des Bio­mas­se­wachs­tums durch die ansteigende Pro­dukt­kon­zen­tration erkennbar. Nach Auszehrung des Substrates stagniert die Produktbildung. Ebenfalls kann der Zerfall von Biomasse beobachtet werden. Die Produktivität des Bioprozesses $Pr_{\text{P}}$ wird nach Abschluss des Bioprozesses als Quo­tient der Änderung der Pro­dukt-Kon­zen­tration und der verstrichenen Pro­zess­dauer berechnet:

\begin{align} Pr_{\text{P}}=&\,\dfrac{P(t_{\text{harvest}})-P(t_{0})}{t_{\text{harvest}}-t_{0}} \label{eq:productivity} \end{align}

Desweiteren sei das zur modellgestützten Optimierung des Systems notwendige Mo­dell bekannt und in Form eines Dif­fe­ren­zial­glei­chungs­sys­tems darstellbar [2, 3]. Im vorliegenden Fall wäre dies durch folgende Gleichungen gegeben:

\begin{align} \dot{X}=&\,\mu(S,P)\cdot X -k_{\text{d}}\cdot X \label{eq:ode_cX} \\[10pt] \dot{S}=&\,-\dfrac{\mu(S,P)\cdot X}{Y_{\text{X,S}}} -\dfrac{\rho(S,a)\cdot X}{Y_{\text{P,S}}} - m \cdot X \label{eq:ode_cS} \\[10pt] \dot{P}=&\,\rho(S,a)\cdot X \label{eq:ode_cP} \end{align}

Die Parameter $k_{\text{d}}$ und $m$ entsprechen hierbei den konstanten Raten des Zerfalls von Biomasse sowie dem Verbrauch von Substrat zur Bedienung des Er­hal­tungs­stoff­wech­sels der Zelle. Die beiden Er­trags­koef­fi­zien­ten $Y_{\text{X,S}}$ und $Y_{\text{P,S}}$ spiegeln das Verhältnis zwischen verbrauchtem Substrat zu hieraus gebildeter Biomasse bzw. gebildetem Produkt wider. Die nachfolgenden Gleichungen \eqref{eq:mu_kinetics} und Gl. \eqref{eq:pi_kinetics} bilden die Modell-Kinetiken für die Beschreibung von Biomasse-Wachstum bzw. -Zerfall und Produktbildung ab [2]:

\begin{eqnarray} \mu(S,P) & = & \frac{\mu_{\max}\cdot S}{K_{\text{S}}+S+\frac{S^2}{K_{\text{I,S}}}+\frac{S\cdot P}{K_{\text{I,P}}}}\label{eq:mu_kinetics}\\[10pt] \rho(S,a) & = & \begin{cases} 0 & \text{for }a=0\\ \frac{\rho_{\max}\cdot S}{K_{\text{P}}+S} & \text{for }a=1 \end{cases}\label{eq:pi_kinetics} \end{eqnarray}

Die nachfolgende Tabelle listet die in diesem Anwendungsbeispiel verwendeten Mo­dell-Pa­ra­me­ter auf:

Symbol Bezeichnung Betrag Einheit
$\mu_{\max}$ maximale spezifische Wachstumsrate $0.32$ $\text{h}^{-1}$
$\rho_{\max}$ maximale spezifische Produktbildungssrate $0.020$ $\text{h}^{-1}$
$K_{\text{S}}$ Halbsättigungskonstante Substrat $2.3$ $\text{g}_{\text{S}} \cdot \text{L}^{-1}$
$K_{\text{P}}$ Halbsättigungskonstante Produkt $1.6$ $\text{g}_{\text{S}} \cdot \text{L}^{-1}$
$K_{\text{I,S}}$ Inhibitionskonstante Substrat $9.1$ $\text{g}_{\text{S}} \cdot \text{L}^{-1}$
$K_{\text{I,P}}$ Inhibitionskonstante Produkt $0.10$ $\text{g}_{\text{P}} \cdot \text{L}^{-1}$
$k_{\text{d}}$ spezifische Biomasse-Zerfallsrate $0.024$ $\text{h}^{-1}$
$m$ spezifische Substrat-Maintenance-Rate $0.034$ $\text{g}_{\text{S}} \cdot \text{g}_{\text{X}}^{-1} \cdot \text{h}^{-1}$
$Y_{\text{X,S}}$ Ertragskoeffizient Biomasse/Substrat $0.60$ $\text{g}_{\text{X}} \cdot \text{g}_{\text{S}}^{-1}$
$Y_{\text{P,S}}$ Ertragskoeffizient Produkt/Substrat $0.053$ $\text{g}_{\text{P}} \cdot \text{g}_{\text{S}}^{-1}$

Methodischer Hintergrund


Unter der Optimierung eines Bioprozesses wird im allgemeinen die geeignete Be­ein­flus­sung der Betriebsweise von Bio­reak­to­ren verstanden. Diese Be­ein­flus­sung wird im Hinblick auf eine oder mehrere quantifizierbare Zielgrößen vorgenommen. Die Ziel­grö­ßen können unter anderen die Mi­ni­mie­rung der Prozess-Dauer oder -Energie, sowie teurer oder toxischer Substrate darstellen [4]. Im vorliegenden An­wen­dungs­beispiel dient die Pro­duk­ti­vi­tät $Pr_{\text{P}}$ des Bioprozesses als einzige Zielgröße.

Zudem muss die Möglichkeit gegeben sein, in den zu optimierenden Prozess einzugreifen. Diese Steuer­grö­ßen sind entweder bekannt, oder können über Methoden der Datenanalyse oder gegebenenfalls simulativ (z. B. Sen­si­ti­vi­täts­ana­ly­se) ermittelt wer­den. Desweiteren beruht die Op­ti­mie­rung auf der Voraussetzung, dass ein parametrisiertes mathematisches Mo­dell des zu optimierenden Bioprozesses vorliegt, welches in der Lage ist, mindestens alle wesentliche Prozessmerkmale darzustellen. Im vorliegenden An­wen­dungs­beispiel werden die Substrat-Konzentration $\color{#ff7f00}{S}$ zu Beginn der Kul­ti­vie­rung $t_{0}$, der Ak­ti­vie­rungs­zeit­punkt der Pro­dukt­bil­dung $t_{\text{a}}$ sowie der Ernte-Zeitpunkt  $t_{\text{harvest}}$ als Steuer­grö­ßen festgelegt.

Methodisch lässt sich die modellbasierte Optimierungen in zwei Gruppen einteilen: Zum einen die Ermittlung einer optimalen Steuerung für dynamische Prozesse. In der "dynamischen" Optimierung soll eine Steuerfolge für die Steuer­grö­ße(n) gefunden werden. Zum anderen die Ermittlung statischer Werte der Steuer­grö­ße(n), welche zum Teil vergleichbar mit dem Verfahren der Parameteridentifikation ist. In beiden Fällen werden Steuer­grö­ßen ermittelt, welche die formulierte Zielgröße minimieren bzw. maximieren. Im vorliegenden Anwendungsbeispiel kommt eine statische Optimierung zum Einsatz:

optimisation scheme
Abb.: Schema der Prozessoptimierung.

Im obigen Schema sind die betrachteten Steuer­grö­ßen $S(t_{0})$, $t_{\text{a}}$ und $t_{\text{harvest}}$ als $\theta$ vektorisiert. Die optimalen Beträge der Steuer­grö­ßen $\Omega$ werden final durch die Maximierung obiger Zielfunktion Gl. \eqref{eq:productivity} ermittelt:

\begin{align} \Omega = \underset{\theta}{\text{arg max}}\,Pr_{\text{P}}(\theta) \label{eq:optimisation} \end{align}

Die Optimierung wird als mathematische Minimierung bzw. Maximierung implementiert. Hierzu stehen eine Vielzahl von etablierten Verfahren bereit. Hierzu zählen deterministische (z. B. Gradienten- oder Simplex-Verfahren [5]) und heuristische (z. B. Genetische Algorithmen [6], Si­mu­la­ted Annealing) Verfahren sowie deren Kombination in hybriden Verfahren.

Ebenso sind bei der Implementierung gleich­sam dynamische und statische Be­schrän­kung der Steuer­grö­ßen zu berücksichtigen, welche durch Gleichungs- bzw. Ungleichungssysteme beschrieben werden. Dies betrifft im vorliegenden Fall: $S(t_{0}) \gt 0$, $t_{\text{a}} \gt 0$ und $t_{\text{harvest}} \gt 0$ (statisch) sowie $t_{\text{a}} \lt t_{\text{harvest}}$ (dynamisch).

Optimierungsergebnisse


Bei vergleichender Betrachtung der Un­ter­ab­bil­dun­gen A "nicht-optimierter Bio­pro­zess" und B "optimierter Bio­pro­zess" der nachfolgenden Abbildung lässt erkennen, dass die Zielgröße der Produktivität $Pr_{\text{P}}$ um $\approx70\,\%$ gesteigert werden konnte.

optimisation results

Diese Steigerung wurde vornehmlich durch eine geeignete Erhöhung der Substrat-Konzentration $\color{#ff7f00}{S}$ zum Start-Zeitpunkt der Kul­ti­vie­rung sowie durch eine geeignete Ver­län­ge­rung der Produktbildungsphase (frü­he­re Zugabe eine Ak­ti­va­tors $a$) erreicht. Hinsichtlich des Ernte-Zeitpunktes $t_{\text{harvest}}$ erfolgte lediglich eine geringfügige Kor­rek­tur.

Abseits der gesteigerten Produktivität $Pr_{\text{P}}$ sind ebenfalls die stark erhöhte absolute Produkt-Konzentration $\color{#377eb8}{P}$ sowie eine reduzierte Biomasse-Akkumulation $\color{#4daf4a}{X}$ zu bemerken. Beide Effekte sind für das, der Kultivierung anschließende, DownStream-Verfahren sehr vorteilhaft. Die nachfolgende Tabelle listet die in diesem An­wen­dungs­beispiel verwendeten Stell­grö­ßen sowie die resultierende Pro­duk­ti­vi­tät auf. Die Beträge optimierter Stellgrößen sind fett formatiert:

Symbol Bezeichnung Betrag
nicht-optimiert
Betrag
optimiert
Einheit
$X_0$ Biomassekonzentration zum Startzeitpunkt $0.75$ $0.75$ $\text{g}_{\text{X}} \cdot \text{L}^{-1}$
$S_0$ Substratkonzentration zum Startzeitpunkt $25$ $\mathbf{33}$ $\text{g}_{\text{S}} \cdot \text{L}^{-1}$
$P_0$ Produktkonzentration zum Startzeitpunkt $0$ $0$ $\text{g}_{\text{P}} \cdot \text{L}^{-1}$
$t_{\text{a}}$ Zeitpunkt Aktivierung der Produktbildung $24$ $\mathbf{14}$ $\text{h}$
$t_{\text{harvest}}$ Zeitpunkt Ernte $48$ $\mathbf{49}$ $\text{h}$
$Pr_{\text{P}}$ Produktivität $0.015$ $\mathbf{0.026}\text{ }(+73\,\%)$ $\text{g}_{\text{P}} \cdot \text{L}^{-1} \cdot \text{h}^{-1}$

Im vorliegenden Anwendungsbeispiel sind die Start-Konzentrationen von Bio­mas­se $X_0$ und Produkt $P_0$ vor dem Hintergrund der Vereinfachung von der Optimierung ausgenommen worden. Im konkreten An­wen­dungs­fall sind jedoch alle zur Ver­fü­gung stehenden Stellgrößen hinsichtlich ihrer Sensitivität auf die zu optimierende Zielgröße zu untersuchen und gegebenenfalls in eine Op­ti­mie­rungs­stra­te­gie mit aufzunehmen.

Ebenso kann eine Modifikation des gewählten Bioprozessregimes einen Teil der Optimierungsstrategie dar­stel­len, sofern diese technologisch und ökonomische umsetzbar ist. Das vorliegende An­wen­dungs­beispiel betrachtet den beschriebenen Bioprozess für eine einfache diskontinuierliche (Batch) Be­triebs­wei­se. Diesbezügliche Modifikationen können eine Fed-Batch bzw. Repeated-Fed-Batch Be­triebs­wei­se dar­stel­len, oder den Wech­sel zu einer kontinuierlichen (Che­mo­stat, Turbidostat) Be­triebs­wei­se beinhalten. Unter der Vo­r­aus­set­zung der biotechnologischen Um­setz­bar­keit kann eben­so eine Im­mo­bi­li­sie­rung der Biomasse Gegenstand der Modifikation sein.

Referenzen


  1. [1] L. Gao, Y. Ren, Y. Ma, J. Lin, J. Lin: Modeling and simulation of production of metallothionein and red fluorescent fusion protein by recombinant Escherichia coli using graphical programming. In: Modeling, Programming and Simulations Using LabVIEW Software., IntechOpen, London, United Kingdom, 2011. doi: 10.5772/14091
  2. [2] D. Voet, J. G. Voet: Biochemistry. John Wiley & Sons, New York, 1990. ISBN: 0-471-61769-5.
  3. [3] A. Kremling: Grundlagen der mathematischen Modellierung. In: Kompendium Systembiologie, Vieweg+Teubner Verlag, 2012. doi: 10.1007/978-3-8348-8607-1_3.
  4. [4] A. I. Bojarinow, W. W. Kafarow: Optimierungsmethoden in der chemischen Technologie. Verlag Chemie Weinheim, 1972. ISBN: 978-3527254682.
  5. [5] J. A. Nelder, R. Mead: A simplex method for function minimization. In: The Computer Journal, 7(4):308–313, 1965. doi: 10.1093/comjnl/7.4.308
  6. [6] D. E. Goldberg: Genetic Algorithms in Search, Optimization, and Machine Learning. Addison-Wesley, Boston, 1989. ISBN: 978-0-201-15767-3